Zusätzliche Betreuungsleistungen bei eingeschränkter Alltagskompetenz[zurück]
Die im Folgenden erläuterten zweckgebundenen Pflegesachleistungen stehen Ihnen zusätzlich zu den anderen Leistungen der Pflegeversicherung zu. Sie werden daher oft auch als zusätzliche, sonstige oder niedrigschwellige Betreuungsleistungen bzw. Betreuungsgeld nach § 45 SGB XI bezeichnet.
Wer hat Anspruch auf zusätzliche Betreuungsleistungen?
Ist der Pflegebedürftige in seiner Alltagskompetenz erheblich eingeschränkt, z.B. bei demenzbedingten Ausfällen, geistiger Behinderung oder psychischer Erkrankungen, kann er dafür zusätzliche Betreuungsleistungen erhalten.
In Abhängigkeit des Schweregrades der Fähigkeitsstörungen, können bis zu 100,- € Grundbetrag oder ein erhöhter Betrag bis zu 200,- € monatlich gezahlt werden, also maximal 2.400,- € pro Jahr.
Wichtig! Anspruchsberechtigt sind auch Betreuungsbedürftige, die noch keine Pflegestufe haben. Diese werden dann praktisch der Pflegestufe 0 zugeordnet.
Pflegestufe 0
Diese Bezeichnung wird umgangssprachlich für alle Personen verwendet die zwar eine gewisse pflegerische Unterstützung benötigen, jedoch nicht oder noch nicht unter die Kriterien der Pflegestufe 1 fallen.
Theoretisch liegt eine Pflegestufe 0 dann vor, wenn die Gutachter des MDK bei ihrer Begutachtung einen Hilfebedarf von weniger als 45 Minuten Grundpflege täglich feststellen.
Zum Beispiel gehören dazu Pflegebedürftige, die hauptsächlich beaufsichtigt und betreut werden müssen, aber im Bereich der Grundpflege und der hauswirtschaftlichen Versorgung momentan nicht in dem Umfang Hilfe benötigen, dass es für eine Pflegestufe ausreicht.
Wie kommt man zu diesen Leistungen?
Zusätzliche Betreuungsleistungen müssen beantragt werden oder werden im Rahmen des MDK-Gutachtens zur Feststellung der Pflegebedürftigkeit und Erteilung einer Pflegestufe gleich mit begutachtet (Lesen Sie bitte hierzu den verwandten Artikel Pflegegutachten).
- Lassen Sie sich von einer fachlich qualifizierten Einrichtung (z.B. einem Pflegedienst) beraten. Ein seriöser und kompetenter Pflegedienst wird Sie auch bei den weiteren Schritten begleiten.
- Stellen Sie einen Antrag bei Ihrer Pflegekasse.
- Der Medizinische Dienst der Krankenversicherung (MDK) prüft anhand eines Fragenkataloges (siehe unten) während eines Hausbesuches, ob ein erheblicher Bedarf an allgemeiner Beaufsichtigung und Betreuung vorliegt.
- Nach dem Pflegegutachten durch den MDK entscheidet die Pflegeversicherung darüber, ob die Leistung bewilligt werden kann.
Kriterien zur Feststellung eines erheblichen Betreuungsbedarfs
Das Begutachtungsverfahren der Pflegekasse zur Feststellung der erheblich eingeschränkten Alltagskompetenz beinhaltet einen Fragenkatalog anhand dessen der MDK prüft.
Folgende Fragen sind durch den MDK bei der Begutachtung des Patienten eindeutig mit "ja" oder mit "nein" zu beantworten:
- Unkontrolliertes Verlassen des Wohnbereiches (Weglauftendenz)
Ein "ja" ist zu dokumentieren, wenn der Antragsteller seinen beaufsichtigten und geschützten Bereich ungezielt und ohne Absprache verlässt und so seine oder die Sicherheit anderer gefährdet. Ein Indiz für eine Weglauftendenz kann sein, wenn der Betroffene z. B.: - aus der Wohnung heraus drängt,
- immer wieder seine Kinder, Eltern außerhalb der Wohnung sucht bzw. zur Arbeit gehen möchte,
- planlos in der Wohnung umherläuft oder sie verlässt
- Verkennen oder Verursachen gefährdender Situationen
Ein "ja" ist zu dokumentieren, wenn der Antragsteller z. B.: - durch Eingriffe in den Straßenverkehr, wie unkontrolliertes Laufen auf der Straße, Anhalten von Autos oder Radfahrern sich selbst oder andere gefährdet,
- die Wohnung in unangemessener Kleidung verlässt und sich dadurch selbst gefährdet (Unterkühlung)
- Unsachgemäßer Umgang mit gefährlichen Gegenständen oder potenziell gefährdenden Substanzen
Ein "ja" ist zu dokumentieren, wenn der Antragsteller z. B.: - Wäsche im Backofen trocknet, Herdplatten unkontrolliert anstellt ohne diese benutzen zu können/wollen, Heißwasserboiler ohne Wasser benutzt,
- Gasanschlüsse unkontrolliert aufdreht,
- mit kochendem Wasser Zähne putzt,
- unangemessen mit offenem Feuer in der Wohnung umgeht,
- Zigaretten ißt,
- unangemessen mit Medikamenten und Chemikalien umgeht (z. B. Zäpfchen oral einnimmt),
- verdorbene Lebensmittel ißt.
- Tätlich oder verbal aggressives Verhalten in Verkennen der Situation
Ein "ja" ist zu dokumentieren, wenn der Antragsteller z. B.: - andere schlägt, tritt, beißt, kratzt, kneift, bespuckt, stößt, mit Gegenständen bewirft,
- eigenes oder fremdes Eigentum zerstört,
- in fremde Räume eindringt,
- sich selbst verletzt,
- andere ohne Grund beschimpft, beschuldigt.
- Im Zusammenhang mit speziellen Situationen unangebrachtes Verhalten
Ein "ja" ist zu dokumentieren, wenn der Antragsteller z. B.: - in die Wohnräume uriniert oder einkotet (ohne kausalen Zusammenhang mit Harn- oder Stuhlinkontinenz),
- einen starken Betätigungs- und Bewegungsdrang hat (z. B. Zerpflücken von Inkontinenzeinlagen, ständiges An- und Auskleiden, Nesteln, Zupfen, waschende Bewegungen),
- Essen verschmiert, Kot ißt oder diesen verschmiert,
- andere Personen sexuell belästigt, z. B. durch exhibitionistische Tendenzen,
- Gegenstände auch aus fremdem Eigentum (z. B. benutzte Unterwäsche, Essensreste, Geld) versteckt/verlegt oder sammelt,
- permanent ohne ersichtlichen Grund schreit oder ruft.
- Unfähigkeit, die eigenen körperlichen und seelischen Gefühle oder Bedürfnisse wahrzunehmen
Ein "ja" ist zu dokumentieren, wenn der Antragsteller z. B.: - Hunger und Durst nicht wahrnehmen oder äußern kann oder aufgrund mangelndem Hunger- und Durstgefühl bereit stehende Nahrung von sich aus nicht ißt oder trinkt oder übermäßig alles zu sich nimmt, was er erreichen kann,
- aufgrund mangelndem Schmerzempfinden Verletzungen nicht wahrnimmt,
- Harn- und Stuhlgang nicht wahrnehmen und äußern kann und deshalb zu jedem Toilettengang aufgefordert werden muss,
- Schmerzen nicht äußern oder nicht lokalisieren kann.
- Unfähigkeit zu einer erforderlichen Kooperation bei therapeutischen oder schützenden Maßnahmen als Folge einer therapieresistenten Depression oder Angststörung
Ein "ja" ist zu dokumentieren, wenn der Antragsteller z. B.: - den ganzen Tag apathisch im Bett verbringt,
- den Platz, an den er z. B. morgens durch die Pflegeperson hingesetzt wird, nicht aus eigenem Antrieb wieder verlässt,
- sich nicht aktivieren lässt,
- die Nahrung verweigert.
- Störungen der höheren Hirnfunktionen (Beeinträchtigung des Gedächtnisses, herabgesetztes Urteilsvermögen), die zu Problemen bei der Bewältigung von sozialen Alltagsleistungen geführt haben
Ein "ja" ist zu dokumentieren, wenn der Antragsteller z. B.: - vertraute Personen (z. B. Kinder, Ehemann/-frau, Pflegeperson) nicht wiedererkennt,
- mit (Wechsel-)Geld nicht oder nicht mehr umgehen kann,
- sich nicht mehr artikulieren kann und dadurch in seinen Alltagsleistungen eingeschränkt ist,
- sein Zimmer in der Wohnung oder den Weg zurück zu seiner Wohnung nicht mehr findet,
- Absprachen nicht mehr einhalten kann, da er schon nach kurzer Zeit nicht mehr in der Lage ist sich daran zu erinnern.
- Störung des Tag- und Nacht-Rhythmus
Ein "ja" ist zu dokumentieren, wenn der Antragsteller z. B.: - nachts stark unruhig und verwirrt ist, verbunden mit Zunahme inadäquater Verhaltensweisen,
- nachts Angehörige weckt und Hilfeleistungen (z. B. Frühstück) verlang (Umkehr bzw. Aufhebung des Tag-/Nacht-Rhythmus).
- Unfähigkeit, eigenständig den Tagesablauf zu planen und zu strukturieren
Ein "ja" ist zu dokumentieren, wenn der Antragsteller z. B. aufgrund zeitlicher, örtlicher oder situativer Desorientierung - eine regelmäßige und der Biografie angemessene Körperpflege, Ernährung oder Mobilität nicht mehr planen und durchführen kann,
- keine anderen Aktivitäten mehr planen und durchführen kann.
- Verkennen von Alltagssituationen und unangemessenes Reagieren in Alltagssituationen
Ein "ja" ist zu dokumentieren, wenn der Antragsteller z. B.: - Angst vor seinem eigenen Spiegelbild hat,
- sich von Personen aus dem Fernsehen verfolgt oder bestohlen fühlt,
- Personenfotos für fremde Personen in seiner Wohnung hält,
- aufgrund von Vergiftungswahn Essen verweigert oder Gift im Essen riecht/schmeckt,
- glaubt, dass fremde Personen auf der Straße ein Komplott gegen ihn schmieden,
- mit Nichtanwesenden schimpft oder redet,
- optische oder akustische Halluzinationen wahrnimmt.
- Ausgeprägtes labiles oder unkontrolliert emotionales Verhalten
Ein "ja" ist zu dokumentieren, wenn der Antragsteller z. B.: - häufig situationsunangemessen, unmotiviert und plötzlich weint,
- Distanzlosigkeit, Euphorie, Reizbarkeit oder unangemessenes Misstrauen in einem Ausmaß aufzeigt, das den Umgang mit ihm erheblich erschwert.
- Zeitlich überwiegend Niedergeschlagenheit, Verzagtheit, Hilflosigkeit oder Hoffnungslosigkeit auf Grund einer therapieresistenten Depression
Ein "ja" ist zu dokumentieren, wenn der Antragsteller z. B.: - ständig "jammert" und klagt,
- ständig die Sinnlosigkeit seines Lebens oder Tuns beklagt. Hinweis: Die Therapieresistenz einer Depression muss nervenärztlich psychiatrisch gesichert sein.
Der Beurteilungsschlüssel für den Grundbetrag von 100,- € pro Monat:
-> Die Alltagskompetenz ist erheblich eingeschränkt, wenn der Pflegebedürftige für mindestens 6 Monate in wenigstens 2 Kriterien (davon mindestens einem aus den Bereichen 1 bis 9) regelmäßige Schädigungen oder Fähigkeitsstörungen hat.
Der Beurteilungsschlüssel für den erhöhten Betrag von 200,- € pro Monat:
-> Eine in erhöhtem Maße eingeschränkte Alltagskompetenz liegt vor, wenn zusätzlich mindestens einmal eine Einschränkung aus den Punkten 1,2,3,4,5,9 oder 11 festgestellt werden kann. Hierbei wird nicht die Erkrankung, sondern der tatsächliche Hilfebedarf berücksichtigt.
Die zusätzlichen Betreuungsleistungen sind Pflegesachleistungen
Sie können eingesetzt werden für:
- Anleitung und Betreuung durch zugelassene Pflegedienste.
- Angebote für eine Tagespflege oder stundenweiser Betreuung. Hier können die vereinbarten Pflegesätze mit den jeweiligen Beträgen finanziert oder verrechnet werden.
- Ersatzpflege (Verhinderungspflege) oder besondere Beratungsangebote.
Pflegebedürftige in der Pflegestufe 1 und 2, sowie Berechtigte der Pflegestufe 0 für zusätzliche Betreuungsleistungen können einen Beratungseinsatz pro Halbjahr abrufen. In der Pflegestufe 3 sind zwei Beratungseinsätze pro Vierteljahr möglich.
Werden Betreuungsleistungen nicht ganz "verbraucht", kann der Rest in das folgende Kalenderjahr übertragen werden.